Durchschnittlich 13 Stunden waren Mitarbeiter:innen im Außendienst in den letzten Jahren pro Woche unterwegs. 13 Stunden, von denen lediglich ein Viertel der Zeit produktiv genutzt werden konnte. Die restlichen 8,5 Stunden verfielen ungenutzt. Das fand eine Studie der Ruhr-Universität Bochum heraus. 2020 änderte sich das schlagartig. Der Corona-Lockdown hat es uns eindeutig vor Augen geführt: Die Digitalisierung ist vor allem in der Arbeitswelt mehr als notwendig, um effizienter zu arbeiten und Zeit sinnvoller zu nutzen. In der jüngsten Vergangenheit entwickelten sich daher zahlreiche Methoden, Synergien und Chancen, die den Weg für Digital Sales im B2B-Bereich öffnen.
Online-Meeting statt Außendienst: ein Umbruch voller Chancen
Mit der Corona-Pandemie kamen ab dem ersten Quartal 2020 viele bestehende Standards im B2B-Vertrieb ins Wanken oder sogar komplett zum Erliegen. Dienstwagen blieben stehen, Außentermine konnten nicht mehr wahrgenommen werden. Auch Messen und andere Events rückten von jetzt auf gleich in weite Ferne. Was zunächst wie ein Stilstand wirkte, hat sich letztlich als Chance herausgestellt, längst überfällige Schritte in Richtung Digitalisierung zu wagen, zum Beispiel:
- vermehrte Möglichkeiten zu Remote Work
- Nutzung von Tools wie Microsoft Teams, Google Meet, Zoom etc.
- Vernetzung, Kommunikation und Vermarktung über Netzwerke wie LinkedIn oder Xing
Die Digitalisierung hat unser berufliches und privates Leben auch schon vor der Pandemie verändert. Vertriebler:innen und Einkäufer:innen nutzen seit geraumer Zeit Smartphones, Tablets und Laptops. 2015 stellten Google und Berger in einer Studie fest, dass bereits 60 % der befragten Unternehmen die Digitalisierung als essenziellen Erfolgsfaktor für das Vertriebsgeschäft sehen. Die vergangenen zwei Jahre dürften diese Sicht lediglich verstärkt und das Tempo vorangetrieben haben.
Generationenwechsel im Einkauf
Menschen investieren in Menschen. Doch was, wenn sie diese nicht leibhaftig vor sich haben? Sales-Leute der Zukunft müssen demnach auch ohne physische Präsenz vor Ort in der Lage sein, Vertrauen und fachliche Kompetenz gegenüber (potenziellen) Kund:innen zu vermitteln, um diese zu erreichen und zu binden.
Ein großer Vorteil: Die Zahl der B2B-Einkäufer:innen, die aus der Millennial-Generation stammen (geboren zwischen 1981 und 1995), wächst immer weiter an. Diese sogenannten „Digital Natives“ sind vertraut mit einfachen E-Commerce-Lösungen, Apps und smarten Customer Journeys. Privat agieren sie daher bereits sehr digital:
- Sie kaufen online ein,
- durchforsten Rezensionen,
- vergleichen Anbieter:innen,
- schauen Videos und
- wenden sich per Chat oder E-Mail an Anbieter:innen, wenn sie Fragen haben.
Hinzu kommt, dass sie ihr Wissen und ihre Erfahrung online teilen. Eine große Chance für Produkte, Firmen und Brands, an eine größere Reichweite zu gelangen. Genau so handeln Millennials auch als B2B-Einkäufer:innen. Für Sales-Leute ist die Hürde des digitalen Verkaufsprozesses daher bei dieser „nächsten Generation an Einkäufer:innen“ sehr gering. Methoden, Systeme und Kommunikationskanäle sollten sogar an ebendiese angepasst werden.
Veränderte Entscheidungsmacht durch non-lineare Kaufprozesse
Da der Einkauf im B2B-Bereich immer komplexer wird, wenn es beispielsweise um Maschinen aus dem höheren Preissegment oder individualisierbare Softwarelösungen geht, sind meist mehrere Personen im Kaufprozess involviert. Neue Technologien, Anbieter:innen, Produkte und Services machen den B2B-Einkauf komplexer und damit auch komplizierter. Durch einfache Vergleichsmöglichkeiten wird der finale Entscheidungsprozess ebenso immer schwieriger.
Von der Identifizierung des Problems zur Anforderungserstellung über die Lösungsfindung bis hin zur Auswahl der Lieferant:innen: Die einzelnen Schritte des Kaufprozesses haben keine feste Reihenfolge mehr, Einkäufer:innen springen von einem zum nächsten oder führen mehrere Schritte gleichzeitig aus. Der gesamte Kaufprozess läuft daher nicht mehr linear ab. Sales-Mitarbeiter:innen sollten auch das im Blick behalten und ein neues Verständnis dafür aufbauen. Sie müssen allen beim Einkauf beteiligten Personen einen Mehrwert bieten, um eine Entscheidung für das eigene Produkt zu vereinfachen bzw. voranzutreiben.
Richtungswechsel: wenn Kund:innen zu Vertriebler:innen kommen
Aufgrund der steigenden Möglichkeiten, sich online selbst zu informieren und Vergleiche einzuholen, ist ein großer Teil des Einkaufsprozesses im B2B-Bereich bereits erledigt, bevor sich Einkäufer:innen an das Sales-Team wenden. Lediglich für Absprachen hinsichtlich Details und Preisen wird der Kontakt zu den Vertriebler:innen gesucht. Der Austausch muss dann nicht mehr zwingend vor Ort erfolgen – Anrufe, Video-Calls oder Webinare erfüllen an dieser Stelle alle Bedürfnisse. Das macht jedoch neue Technologien, angepasste Prozesse, Informationen mit Mehrwert und vor allem eine höhere (Preis-)Transparenz erforderlich.
Auch Messen haben – zumindest im klassischen Sinne – einen Wandel durchgemacht. Vor allem jüngere Buyer bevorzugen laut Studien digitale Formate wie beispielsweise virtuelle Veranstaltungen. Live-Messen profitieren aber ebenfalls von neuen Technologien: Durch Tablets und darauf installierter CRM- und Order-Software wird die Customer Experience vor Ort verbessert und der Kaufprozess erleichtert – das gilt genauso für Face-to-Face-Termine. Produkte und Services können dabei live konfiguriert und sofort in Auftrag gegeben werden.
Social Selling als neue Chance
Soziale Netzwerke ziehen stetig neue Nutzer:innen an. Auch Social-Business-Plattformen wie Xing oder LinkedIn entwickeln sich mehr und mehr zu einem wichtigen Raum, in dem Sales-Mitarbeiter:innen aktiv werden sollten. Mit Social Selling können sie sich dort mit potenziellen und Bestandskund:innen im B2B-Bereich vernetzen und somit für einen unkomplizierten Austausch sorgen. Durch Postings von Studien, Produkten etc. präsentieren die Sales-Leute ihre Expertise ganz einfach online – so entsteht im Grunde eine dauerhaft geöffnete Messe.
Digitale Sales-Prozesse zur Entlastung
Der Außendienst wird durch digitale Sales-Prozesse deutlich entlastet: Vertriebler:innen müssen ihre Produkte oder Services nicht mehr von A bis Z präsentieren, um diese verkaufen zu können: Insbesondere die erste Phase des Sales-Funnels wird durch digitale Prozesse vereinfacht, beispielsweise beim Autokauf. Interessenten konfigurieren sich hierbei ihr Modell online bereits nahezu vollständig selbst, bevor es zu einem Verkaufsgespräch kommt.
Auch Pre- und After-Sales-Prozesse lassen sich automatisieren, um mehr Zeit und Raum für die Kernaufgaben der Vertriebsmitarbeitenden zu schaffen. Diese können sich so darauf konzentrieren, die Kund:innen in den Mittelpunkt zu stellen, Detailfragen individuell zu beantworten und zufriedenstellend zu beraten.
Was bleibt langfristig im digitalen B2B-Vertrieb?
Fakt ist: Nahezu jeder B2B-Touchpoint lässt sich auch remote realisieren. Sales-Leute führen ihre Beratungsgespräche online – ebenso wie Konferenzen, Schulungen und Webinare. Für allgemeine Anfragen empfehlen sich Chat-Bots. In diesem Fall beantwortet entweder eine KI häufig gestellte Fragen oder der Kontakt zu Mitarbeitenden wird darüber hergestellt.
Die gesamte Customer Journey lässt sich digital automatisieren – inklusive Touchpoints im After-Sales-Bereich. Voraussetzung sind die dafür notwendigen Daten sowie eine intelligente Aufbereitung. Von Erinnerungen für Wartungstermine über Cross- und Up-Selling-Produkte bis hin zu Webinar-Einladungen erfolgt die Customer Journey dann ohne Mehraufwand der Sales-Leute völlig automatisiert.
Machen digitale Sales-Prozesse Vertriebsmitarbeiter:innen unnötig?
Im B2B-Bereich müssen nicht immer Verkäufer:innen im Kaufprozess involviert sein. Vor allem einfache Produkte lassen sich online leicht ohne Sales-Leute vertreiben. Je komplexer ein Produkt oder Service, desto notwendiger sind aber B2B-Verkäufer:innen. Das gilt beispielsweise für Individualisierungen, personalisierte Preisgestaltungen oder Lizenzabkommen. Auch bei Beschwerden wird der persönliche Kontakt gewünscht. Digitale Sales-Prozesse machen Verkäufer:innen also nicht obsolet – sie verlagern viel mehr deren Fokus.
Digital Sales machen den Vertrieb zu einem Kanal von vielen. Um Neukund:innen zu gewinnen und Bestandskund:innen zu halten, müssen alle Kanäle gleichermaßen genutzt werden. Synergien zwischen Außendienst, Innendienst, Marketing und anderen Abteilungen werden immer häufiger genutzt und erschaffen so einen neuen B2B-Kaufprozess.
Fazit
Kund:innen zu gewinnen und halten, funktioniert nicht mehr nur via Telefon, beim Messebesuch oder bei einem Face-to-Face-Gespräch. Kauf und Verkauf im B2B-Bereich muss ganzheitlicher gedacht werden, wenn wir einen nachhaltigen Digital-Sales-Ansatz im Blick behalten möchten. Folgende Aspekte sind dabei wichtig:
- Digitale Self-Services anbieten, beispielsweise in Form eines Onlineshops, damit Einkäufe auch online unkompliziert, transparent und sicher sind.
- Einsatz von digitalen Sales-Tools wie CRMs, um effizient Kund:innenmanagement zu betreiben.
- Synergien zwischen Marketing und Vertrieb nutzen, um Daten über die Zielgruppe zu teilen und diese präziser und individueller abholen bzw. ansprechen zu können.
Alle diese Dinge sind nötig, um mit Digital Sales im B2B-Bereich Erfolg zu haben. Doch trotz all der Neuerungen hinsichtlich Tools, Prozessen und Methoden – einige Dinge ändern sich nie. So wie die grundlegenden Erwartungen, die Einkäufer:innen an Vertriebler:innen haben. Eine sehr gute Kenntnis der jeweiligen Branche und des jeweiligen Produktes sowie Soft Skills wie aktives Zuhören und lösungsorientiertes Denken werden auch weiterhin als immens wichtig eingestuft – vor Ort und digital.
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